Mein erstes Mal in der Selbsthilfegruppe


Selbsthilfegruppe. Ein Wort, bei dem irgendwie einfach viel mitschwingt. Die meisten verbinden Selbsthilfegruppen vielleicht mit Filmen und Serien und dem Satz „Hallo ich bin XY und ich habe XY“. 

 

Dass es in Wien Selbsthilfegruppen für junge Erwachsene mit psychisch erkrankten Eltern gibt, habe ich durch Zufall erfahren. Eigentlich habe ich irgendetwas für die Uni recherchiert und landete irgendwie auf der Homepage der HPE. Erstmal konnte ich meinen Fund überhaupt nicht glauben. Eine kostenlose Beratungsstelle für Angehörige psychisch Erkrankter? Mein erster Gedanke war ehrlich gesagt: „Stimmt, da muss es ja noch andere Personen geben.“ Ich selbst bin am Land aufgewachsen. Hatte nie jemanden kennengelernt, der auch einen schwer psychisch erkrankten Angehörigen hat. Geschweige denn einen Elternteil.  

 

Kritisch beäugte ich die Homepage. Wollte ich in eine Selbsthilfegruppe? Bin ich eine Person, die in eine Selbsthilfegruppe geht? „Ich kann es mir ja mal anschauen“, dachte ich mir und rief bei der Nummer an. Vier Wochen später saß ich auf der Friedensbrücke und war extrem verunsichert. Welche Personen wohl in so eine Gruppe gingen? Nach ein paar Minuten schüttelte ich den Kopf und dachte mir, dass ich gerade Vorbehalte gegenüber Personen habe, zu denen ich auch zählte. Was für ein Blödsinn. Also ging ich nervös Richtung Beratungsstelle. 

 

Eine Nervosität, die absolut unbegründet war. Nach dem Treffen lief ich nach Hause und konnte es nicht glauben. Ich bin nicht alleine. Ich war nie alleine. Das Gefühl ist relativ schwer in Worte zu fassen. Irgendwie hat es sich nach auftauchen und Luft holen angefühlt. Ich hatte sieben junge Menschen kennengelernt, die Teile meines Lebens besser verstanden als Menschen, die ich schon ein Leben lang kenne. Und das in nur zwei Stunden. Natürlich waren unsere Geschichten extrem unterschiedlich: diagnostizierte und nicht diagnostizierte psychische Erkrankungen, komplett unterschiedliche Verläufe, Geschwister, keine Geschwister, einen gesunden Elternteil, keinen gesunden Elternteil.

 

Aber die Themen waren immer dieselben. Wie grenze ich mich ab? Was ist meine Verantwortung? Wie gehe ich damit um, wenn es einem Elternteil schlecht ging? Darf ich auch einfach mal nicht erreichbar sein? Fragen, die man am besten mit jemandem besprechen kann, der weiß, wovon er spricht. Da muss man kein Blatt vor den Mund nehmen, sich für keinen Gedanken schämen. Da war diese eine junge Frau, die berichtete, dass sie mit ihrer Mutter seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr hat. Und alles, was ich mir dachte, ist: „Das darf man auch, das ist auch eine legitime Option.“ Nach zwei extrem turbulenten und belastenden Jahren mit meiner Mama ein für mich sehr beruhigender Gedanke. Ein Leben lang habe ich Personen um Rat gefragt, die selber völlig überfordert waren. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das für dich sein muss“ – ein Satz, den ich schon tausendmal gehört habe. Hier war dieser Satz nicht notwendig, wir konnten es uns alle vorstellen. Wir waren selber schon an genau solchen Punkten. 

 

Das Jahr in der Selbsthilfegruppe hat mir so viel gegeben. Egal was noch alles mit meiner Mama passiert ist, im Hinterkopf wusste ich – andere Menschen beschäftigen sich auch mit diesen Themen. Du bist nicht alleine. Wir sind 275.000 Personen und das nur in Österreich. Es spricht einfach niemand darüber. Aber wir sind da. Um dich herum – jeden Tag. 

 

Falls dich dieser Beitrag inspiriert hat, informiere dich doch einfach mal über Selbsthilfegruppen in deiner Umgebung oder lass dich in unserem Chat anonym beraten. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt: Du. bist. nicht. alleine.

 

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