Das Gesundenhaus


Ich bin ein Volksschulkind. Irgendetwas war schon länger ein bisschen komisch mit meiner Mama. Sie kocht spannende Gerichte, oft schmecken sie mir nicht. Oder es gibt Fertigpizza. Die mag ich natürlich gerne. Immer öfter muss ich nach der Schule aber auch gleich zu meiner Oma gehen. Einmal bin ich zu meiner Oma gegangen, weil Mama das so sagte und dann war Oma gar nicht zu Hause. Dann bin ich vor der zugesperrten Tür gesessen und habe gewartet. Nach einiger Zeit bin ich nach Hause gegangen. Ich dachte, Mama ist nicht daheim, sonst muss ich zur Oma, wenn sie nicht zu Hause ist. Egal –  besser alleine zu Hause, da kann ich ja wenigstens hinein. Mama war dann doch zu Hause. Warum sie mich nicht daheim haben wollte, verstehe ich nicht. Vielleicht hat sie sich auch im Tag vertan. Jahre später sagt sie, ihr war damals nicht danach, aber so genau wisse sie das nicht mehr. Außerdem macht Mama Versprechungen. Versprechungen, die sie dann doch nicht halten kann. Ich weiß nicht mehr so genau, ob ich mich noch auf sie verlassen kann. Mein Papa kommt immer erst am Abend heim. Wenn er heimkommt, freue ich mich immer ganz besonders. Aber er hat auch nicht immer Zeit für mich. Irgendwie geht es ihm nicht gut. Ich glaube, er macht sich ganz große Sorgen. Ich spüre diese Sorgen auch. Irgendwie ist so eine drückende Stimmung in der Familie. Ich möchte diese Stimmung eigentlich gar nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie fragen kann, was los ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, das wissen Mama und Papa selbst nicht so genau. Ich glaube sogar, Mama merkt gar nicht, dass sie sich so verändert hat. 

 

Und dann ist Mama auf einmal wirklich nicht mehr zu Hause. Papa hat mich zu meiner Goli, das ist meine Taufpatin, gebracht. Er fährt mit Mama weg. Nachdem unser Arzt da war, den kenne ich, das ist unser Hausarzt. Der hat mir schon einmal geholfen, als ich Husten hatte. Aber Mama hat ja gar nicht Husten und Fieber hat sie auch nicht. Später erfahre ich, Mama ist in Mauer. Ich habe keine Ahnung, was Mauer ist. Papa sagt, das ist ein Krankenhaus. Aber Mama ist nicht krank. Zumindest nicht so wie Oma, als sie im Krankenhaus war.

 

Papa kommt mit einem tollen Film nach Hause: Bibi Blocksberg. Der gefällt mir sehr gut, Bibi Blocksberg findet lange vergessene Helfer-Eulen. Die bewahren Eulenstaub auf, der Krankheiten heilen soll. Leider hat es für die Freundin von Bibi nicht gereicht. Sie ist nämlich im Rollstuhl gesessen. Aber die Eule hat ihr trotzdem geholfen und sie getröstet. Vielleicht braucht meine Mama auch Eulenstaub? Ich geh mal zur Sandkiste, da ist auf jeden Fall viel Staub, vielleicht kann ich ihn ja Mama geben.

 

Wir können Mama besuchen! Ich freue mich. Aber dieses Krankenhaus – das ist ja gar kein Krankenhaus  – keine verletzten Menschen oder Menschen, die operiert werden müssen. Ich glaube, da hat nicht einmal jemand Fieber. Es gibt einen schönen Park, wo die Menschen spazieren gehen. Für mich sind hier alle gesund. Das ist ein Gesundenhaus. Ab jetzt ist dieses Mauer das Gesundenhaus. Mama ist ja auch nicht krank. Zumindest nicht körperlich. Das sehe ich. Trotzdem schläft sie dort sehr viel und als ich ihr von dem tollen Bibi Blocksberg Film erzählt habe, hat sie gesagt „tolles Buch“. Das war aber ja gar kein Buch, das hab ich ihr auch gesagt, aber da ist sie schon wieder eingeschlafen. Ich glaube, so gesund wie die Menschen, die im Park spazieren, ist sie vielleicht doch nicht.

 

Ein paar Wochen später ist Mama noch immer im Gesundenhaus. Ich darf meine Barbie mit Flügel mitnehmen – in dem schönen Park beim Gesundenhaus kann ich sicher gut mit ihr spielen, da kann sie von einer Pflanze zur nächsten fliegen. Inzwischen geht auch meine Mama in dem Park spazieren und ist wieder munterer. Außer im Park spazieren zu gehen, kann Mama auch Fensterbilder malen. So wie ich das schon einmal zu Hause mit ihr gemeinsam gemacht habe. Mama wirkt jetzt nur mehr ein bisschen komisch, aber ich glaube, es geht ihr schon besser. Das freut nicht nur mich, sondern auch meinen Papa –  ich merke, auch ihm geht es jetzt besser. Ich versuche, ihm zu Hause ein bisschen zu helfen oder zumindest nicht zusätzliche Arbeit zu machen. Wenn ich brav bin, geht es sicher allen bald wieder gut.

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