Von schwarzen Hunden und fehlenden Worten

Burnout und Depression lautete die ernüchternde Diagnose, die mein Vater vor einigen Jahren erhalten hat. Meine Eltern haben mir lange nichts davon erzählt. Sie wollten mich schützen, das Thema von mir fernhalten und die Situation mit sich selbst ausmachen. Ich habe in der Zeit aber natürlich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, doch ich konnte es nicht benennen. Rückblickend weiß ich, dass es unzähligen Kindern und Jugendlichen so geht wie mir damals, und dass nichts besser schützt als offene Kommunikation, sowohl innerhalb der Familie als auch ganz generell in der Gesellschaft. Seither habe ich mich viel mit psychischen Belastungen beschäftigt, neben meinem Studium Fortbildungen zu dem Thema besucht und schätze mich glücklich, heute auch in diesem Bereich arbeiten und aufklären zu dürfen. Meine Eltern unterstützen mich bei allem was ich tue, und dafür bin ich am aller dankbarsten.

 

Zur damaligen Zeit habe ich das alles aber noch nicht gewusst. Mir ist nur aufgefallen, dass meine Mutter immer mehr gearbeitet hat, mein Vater dahingegen weniger und weniger – seine Krankenstände häuften sich, dabei hatte er stets für seinen Beruf gebrannt. Rückenschmerzen wurden zu seinem täglichen Begleiter, raubten ihm jegliche Energie und fesselten in oft den ganzen Tag ans Sofa. Gleichzeitig hatte er Schlafprobleme und ist nächtelang rastlos im Haus auf und ab gegangen. Gemeinsame Unternehmungen wurden selten, meine Eltern stritten häufiger und ich merkte, wie auch ich immer angespannter wurde. Die Stimmung daheim war gedrückt und der Alltag grau, als wäre die Freude verloren gegangen. Ich hätte so gern etwas dagegen getan, aber was?

 

In der Schule habe ich mich bemüht, gute Noten zu schreiben, um meinen Eltern nicht noch zusätzliche Sorgen zu bereiten. Allerdings fühlte ich mich in meiner Klasse zunehmend unwohl, fehl am Platz. Meine Schulkolleginnen fieberten dem Maturaball entgegen, buchten vorfreudig Interrailtickets für den Sommer und bewarben sich sorglos auf ihre Traumstudiengänge. Da konnte ich nicht mithalten. Ich war machtlos und irgendwann wollte ich einfach nur noch weg, ein anderes Leben, in dem ich alles besser machen würde.

 

Ich bestand die Matura, schrieb mich an der Uni ein und bin von zu Hause ausgezogen, um nur wenige Monate später auf dem harten Boden der Tatsachen zu landen – ich hatte mir das alles anders vorgestellt, fand keinen Anschluss und fühlte mich mutterseelenallein. Meinen Eltern erzählte ich nichts von meiner Lage, ich wollte sie nicht belasten und noch weniger enttäuschen. „Ich muss mich da jetzt einfach durchbeißen“, redete ich mir ein. Als ich meine Eltern in den Ferien besuchte, musste ich aber ein dürftiges Bild abgegeben haben, denn ihnen fiel sofort auf, dass es mir nicht gut ging. Sie stellten mich zur Rede, und schließlich erzählte ich ihnen alles, und auch sie rückten endlich mit der Sprache heraus ...

 

„Es gibt da ein Buch von Matthew Johnstone“, erklärt mein Papa damals und drückt mir selbiges in die Hand. „Da geht es um Depressionen. Eine Depression ist wie ein schwarzer Hund, der einem nicht mehr von der Seite weicht. Den muss man erziehen und an die Leine nehmen. Deshalb bin ich zum Psychiater gegangen, der mir Tabletten verschrieben hat, und ich mache jetzt auch eine Therapie. Das ist wichtig für die Resilienz.“ Mit diesen Worten überreicht er mir noch ein Buch vom selben Autor – „Wie man Krisen übersteht und daran wächst“ – und lächelt mich an: „Resilienz ist sowieso das Wichtigste.“

 

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